Die EU will Ihre E-Mails und Nachrichten lesen. Was ist Chat Control und warum wird wieder darüber gesprochen?

  • Die Europäische Kommission will eine Verordnung zur Bekämpfung des Kindesmissbrauchs durchsetzen
  • Im Rahmen dessen droht eine automatische Überwachung aller Nachrichten, einschließlich der Ende-zu-Ende-verschlüsselten
  • Dänemark will es aktiv vorantreiben, Tschechien hat bisher keine konkrete Position bezogen

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Adam Kurfürst
Adam Kurfürst
19. 8. 2025 16:00

Wie weit sind wir bereit zu gehen, wenn wir uns zum Ziel setzen, Kinder und Jugendliche vor den Gefahren im Online-Raum zu schützen? Diese Frage muss jeder Einzelne für sich selbst beantworten – am besten nach dem Studium von Quellen und einer Weile kritischen Nachdenkens, da es sich definitiv nicht um ein Thema mit einer banalen Lösung handelt, die alle Seiten zufriedenstellen würde. Einige öffentliche Amtsträger haben jedoch offensichtlich eine klare Vorstellung davon, und ihre Entscheidungen in den kommenden Monaten könnten jeden von uns maßgeblich beeinflussen. Im Rat der Europäischen Union zeichnet sich nämlich eine sehr kontroverse Verordnung ab.

Eine keineswegs neue Verordnung mit guter Absicht

In den Medien und sozialen Netzwerken haben Sie in den letzten Jahren möglicherweise den Begriff Chat Control wahrgenommen. Insbesondere seine Gegner bezeichnen damit den Vorschlag der Europäischen Kommission aus dem Jahr 2022, dessen Ziel es ist, Regeln zur Prävention und Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs von Kindern festzulegen. In der Praxis können Sie auch auf die Abkürzung CSA (Child Sexual Abuse) oder CSAR (Regulierung zur Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs von Kindern) stoßen.

Die EU-Beamten versuchen damit vor allem, Kinder vor Gefahren im Online-Raum zu schützen. Sie zitieren eine Statistik, wonach mindestens jedes fünfte Kind in seiner Kindheit Opfer sexueller Gewalt wird, und eine Studie aus dem Jahr 2021, bei der die Hälfte der Befragten irgendeine Form von sexuellem Kindesmissbrauch im Internet erlebt hat. Der Bericht konzentriert sich hauptsächlich auf die Notwendigkeit, Material über sexuellen Kindesmissbrauch (Kinderpornografie) aufzudecken und zu melden, um dessen weitere Erstellung und Verbreitung zu verhindern.

„Es ist offensichtlich, dass die EU derzeit Kinder immer noch nicht davor schützt, Opfer sexuellen Missbrauchs zu werden, und dass die Online-Dimension dieses Problems eine besondere Herausforderung darstellt“, heißt es im Entwurf.

Die Absicht der Verordnung, wie sie der über drei Jahre alte Entwurf darstellt, kann daher verständlicherweise als gut bezeichnet werden. Dies gilt umso mehr, wenn wir bedenken, dass Kinder mit gesundheitlichen (sei es geistigen oder entwicklungsbedingten) Beeinträchtigungen, die sich potenziell auch in der Online-Welt bewegen können, einem noch höheren Risiko sexueller Gewalt ausgesetzt sind.

Warum Chat Control oder welche Schritte will die EU unternehmen?

Die EU will den Kindesmissbrauch im Online-Raum aktiv bekämpfen. Derzeit gilt die Verordnung namens Chat Control 1.0, die es Betreibern von Online-Kommunikationsdiensten ermöglicht, die Kommunikation auf freiwilliger Basis zu scannen. Bisher nutzen diese Möglichkeit nur einige Plattformen wie Gmail, Facebook/Instagram oder Snapchat.

Das ist aber offenbar nicht ausreichend, und so versucht die Europäische Kommission, eine weitaus drastischere Lösung einzuführen. Nicht umsonst sprechen Gegner von Chat Control 2.0 – die neue Verordnung würde den Betreibern von Kommunikationsanwendungen die Pflicht auferlegen, alle privaten Konversationen automatisch zu durchsuchen. Also auch Ihre. Auf WhatsApp, Telegram, Signal, in E-Mails. Überall. Sogar die unversendeten im Entwurfsstadium. Das Ziel wäre nur eines: verdächtige Inhalte zu finden und diese an das Europäische Zentrum zur Prävention und Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs von Kindern zu melden.

Dabei wird auch die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung berücksichtigt. Konkret wird die Einführung der Client-Side-Scanning-Methode in Betracht gezogen, d.h. die Überprüfung des Inhalts direkt auf dem Telefon des Benutzers noch vor der Verschlüsselung. In Anwendungen müssten im Grunde Hintertüren eingebaut werden, die jedoch Bedenken hinsichtlich weiterer Sicherheitsrisiken (Angriffe durch Hacker, Dienstanbieter oder ausländische Mächte) aufwerfen.

Die Dokumente der Europäischen Union sprechen namentlich von drei Arten schädlicher Inhalte. Die erste ist das sogenannte „Known CSAM“, also bereits in der Vergangenheit identifiziertes Material, das die Definition von sexuellem Kindesmissbrauch erfüllt. Technisch ist es am einfachsten zu erkennen, da ein digitaler Fingerabdruck (Hash) dazu existiert. „New CSAM“ stellt das genaue Gegenteil dar, da es sich um bisher unentdeckte Inhalte handelt, die maschinell nur mit ausgefeilteren Werkzeugen, wie solchen, die maschinelles Lernen nutzen, erkannt werden können. Schließlich wird über Grooming gesprochen – eine Technik, bei der der Täter versucht, das Vertrauen eines Kindes zu gewinnen und es zu einem Treffen zu locken oder es zu überzeugen, intime Materialien zu senden. Um dies zu erfassen, müssten Textkonversationen automatisch gescannt und Sprache sowie Kommunikationsmuster darin analysiert werden.

Dänemark belebt die Diskussion neu

Etwas wie die sogenannte Chat Control durchzusetzen, erfordert eine gehörige Portion Mut. Eine öffentliche Konsultation der Europäischen Kommission, auf die der ehemalige Europaabgeordnete der Piratenpartei Deutschland, Patrick Breyer, verweist, ergab unter anderem, dass sich mehr als 80 % der Befragten gegen die Einführung einer Pflicht zur Chat-Kontrolle ausgesprochen haben.

Wer sich aber nicht scheut, die Diskussion wiederzubeleben, ist Dänemark. Es führt den EU-Rat vom 1. Juli bis Ende dieses Jahres und hat sich als einen der Schlüsselpunkte seines Programms genau das Bemühen um die Durchsetzung von CSA gesetzt. Im Programm wird ausdrücklich angegeben, dass der Aufgabe hohe Priorität eingeräumt wurde.

„Die Strafverfolgungsbehörden müssen über die notwendigen Instrumente, einschließlich des Zugangs zu Daten, verfügen, um Straftaten wirksam untersuchen und verfolgen zu können“, heißt es auch aus Kopenhagen.

Der dänische Justizminister erklärte vor knapp einem Monat auf einer Pressekonferenz in Kopenhagen: „Wir müssen uns fragen, wessen Privatsphäre uns eigentlich am meisten am Herzen liegt? Ist es die Privatsphäre von Tausenden von Kindern, die sexuell missbraucht werden? Oder ist es die Privatsphäre von normalen Menschen, die missbraucht werden könnten, aber nicht müssen. Wenn sie Inhalte teilen, die sexuellen Kindesmissbrauch betreffen, kann ihnen eine Schutzanordnung gegen das, was sie teilen, erteilt werden. Wir müssen uns bei diesen unterschiedlichen Meinungen auf einen Kompromiss einigen.“

Im EU-Rat wird, sofern sich bis dahin nichts ändert, am 14. Oktober über die Annahme des neuen Gesetzes abgestimmt. Mindestens 15 der 27 Mitgliedstaaten müssen dafür stimmen.

Derzeit sind nur drei Staaten dagegen, Tschechien ist noch unentschlossen

Gegen die neue Verordnung haben sich bisher nur drei Mitgliedstaaten offen ausgesprochen: Polen, die Niederlande und Österreich (obwohl dessen neue Regierungskoalition ihre Meinung sehr wohl ändern könnte, schreibt der Server Euronews).

Tschechien steht laut einem durchgesickerten Protokoll der EU-Ratssitzung mit Juristen vom 30. Juli auf der Liste der Länder, die bisher keine konkrete Position bezogen haben. Angeblich wegen der bevorstehenden Wahlen. Eine absolut entscheidende Position werden dann Frankreich und Deutschland bei der Abstimmung einnehmen. Die Delegationen beider Staaten haben sich jedoch bisher keiner der Varianten eindeutig angeschlossen.

Auch einige tschechische Politiker haben sich zur Situation geäußert. Die Piraten-Europaabgeordnete Markéta Gregorová lehnt den Vorschlag entschieden ab und betonte in einem Thread auf X die Bedeutung der sogenannten Triloge. Dabei handelt es sich um informelle Treffen von Vertretern des Europäischen Parlaments, des EU-Rates und der Europäischen Kommission. Der Rat und das Parlament stehen derzeit am völlig entgegengesetzten Ende des Meinungsspektrums, was laut Gregorová letztendlich bedeuten könnte, dass wir Chat Control 2.0 hier für mindestens weitere vier Jahre nicht haben werden.

Die Europaabgeordnete Kateřina Konečná (STAČILO!) stellt sich ebenfalls scharf dagegen. In einem Beitrag auf X forderte sie die tschechische Regierung auf, „eine ablehnende Haltung einzunehmen und die Rechte ihrer Bürger zu schützen.“

Wie steht es um Chat Control aus rechtlicher Sicht?

Der Juristische Dienst des Rates der EU hat den Vorschlag wiederholt als im Widerspruch zum europäischen Recht stehend bezeichnet. Ihm zufolge steht er nicht im Einklang mit Artikel 7 und 8 der Charta der Grundrechte der EU und Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention. Die erwähnte Methode des Client-Side-Scanning würde angeblich einen Verstoß gegen den Grundsatz der Vertraulichkeit der Kommunikation darstellen.

Diskutieren wir: Ist eine ähnliche Verordnung angebracht?

Die Europäische Union steht vor einem grundlegenden Dilemma. Einerseits gibt es das berechtigte Bestreben, Kinder vor schwerwiegenden Formen des Missbrauchs zu schützen, der sich zunehmend im Online-Umfeld abspielt. Andererseits weckt der Vorschlag Chat Control 2.0 Befürchtungen, dass ein flächendeckendes Scannen von Nachrichten – einschließlich verschlüsselter – das Ende vertraulicher elektronischer Kommunikation, eine Schwächung der Cybersicherheit und einen Eingriff in die Grundrechte aller Bürger bedeuten könnte.

Die Frage lautet daher: Ist es möglich, ein Gleichgewicht zwischen Kinderschutz und Datenschutz zu finden, oder stehen diese beiden Ziele in direktem Widerspruch zueinander? Und wenn die Verordnung tatsächlich zu einer Schwächung der Verschlüsselung und einer flächendeckenden Überwachung führen würde, sind wir als Gesellschaft bereit, einen so hohen Preis für die Kriminalprävention zu akzeptieren?

Wie sehen Sie die Problematik rund um Chat Control?

Quellen: Europäische Kommission (1, 2, 3, 4), Patrick-Breyer.de, Euronews, Netzpolitik, TechRadar, Dänische EU-Ratspräsidentschaft

Über den Autor

Adam Kurfürst

Adam studuje na gymnáziu a technologické žurnalistice se věnuje od svých 14 let. Pakliže pomineme jeho vášeň pro chytré telefony, tablety a příslušenství, rád se… Mehr über den Autor

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